Godehards Lebensweg
Er sorgte wieder für Ordnung
Als Bischof von Hildesheim wurde Godehard berühmt. Dabei wollte er erst gar nicht in den Norden Deutschlands.
Sollte jemand behaupten, es lohne sich nicht, die Autobahn von Passau kommend kurz vor Deggendorf zu verlassen und den Weg nach Reichersdorf einzuschlagen, dürfte es energischen Widerspruch geben von einem kleinen, aber rührigen Verein. Die 33 Mitglieder – eine stattliche Zahl angesichts der 900 Einwohner des kleinen Ortes – haben sich laut Satzung „die Verbreitung der religiösen Substanz aus dem Leben des heiligen Gotthard“ zur wesentlichen Aufgabe gemacht. Aus gutem Grund; denn hier, in den südlichen Ausläufern des Bayerischen Waldes und mit Sicht auf die Donau, steht der Godlhof, in dem – so ist man auch ohne urkundliche Belege felsenfest überzeugt – im Jahr 960 Gotthard geboren wurde.
Immer wieder klopfen Besucher an der Tür von Landwirt Gotthard Jacob, der heute den Godlhof bewirtschaftet, und gern öffnet er ihnen die Tür zu einem niedrigen Zimmer mit Holzdecke. In einer Mauernische die Muttergottes, an den Wänden fromme Bilder, vor den zwei Fenstern ein Altar mit Blumenschmuck und Kerzen. „Der allmächtige Gott hat es gefügt, dass in Baiern bei dem Kloster des heiligen Mauritius, welches an der Donau gelegen und Altach genannt ist, ein Knabe von ausgezeichneten Anlagen, namens Godehard, frommen Eltern geboren wurde, die er aber an Frömmigkeit noch bei weitem übertreffen sollte“, schrieb später der Biograf Wolfher.
Das Kloster hatte die beste Zeit hinter sich
Nach heutigen Maßstäben wird Gotthard – in Hildesheim besser als Godehard bekannt – in einfache, aber nicht arme Verhältnisse geboren. Immerhin ist sein Vater Ratmund weltlicher Verwalter des nahen Klosters, eingesetzt durch den Erzbischof von Salzburg. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die dem Sohn die Türen zu Bildung und Karriere weit öffnet: Bald schon besucht er die Klosterschule in Niederaltaich, wird später zum Studium an die Salzburger Domschule geschickt und übernimmt nach erfolgreichem Abschluss die Aufgaben als Sekretär des Erzbischofs. Es folgen die Weihe zum Diakon (um 985), das feierliche Gelübde (Ende 991), die Priesterweihe (21. Dezember 995) und am 27. Dezember 996 weiht ihn der Bischof von Passau zum Abt von Kloster Niederaltaich.
Das existierte damals bereits seit rund 250 Jahren als Gründung des Bayernherzogs Odilo und konnte auf eine wechselvolle Geschichte zurück blicken. Ohne uns jetzt in Details zu verzetteln, können wir sie etwa so zusammenfassen: Bis weit in den Bayer- und Böhmerwald hinein hatten die Mönche – die ersten stammten von der Reichenau im Bodensee – das Land kultiviert, das Kloster galt also nicht nur als spirituelles Zentrum sondern auch als Stützpunkt der deutschen Kultur in der damals sogenannten Ostmark des Herzogtums. Bis in die Wachau reichten die Besitztümer, und außer dem Kaiser hatte niemand etwas zu melden. Niederaltaich war eine Art geistliche Kaderschmiede, rund 50 Mönche wurden damals und auch später als Äbte an andere Klöster berufen oder zu Bischöfen geweiht.
Dass Gotthard von diesen Glanzzeiten kaum noch etwas vorfinden konnte, lag an den vorstürmenden Ungarn, die plündernd weit ins Land vordrangen und erst 955 in der blutigen Schlacht auf dem Lechfeld aufgerieben und zurückgeschlagen wurden. Niederaltaich jedenfalls hatte die guten Jahre längst hinter sich, war in ein Chorherrenstift umgewandelt worden.
Wenn es unter dem neuen Abt wieder zu einer Blütezeit kommen konnte, dürfte nicht allein daran gelegen haben, dass Gotthard die Ärmel hochkrempelte und auf vielen Gebieten – ob als Künstler, Gelehrter, Architekt – Maßstäbe setzte. Unterstützung kam nämlich von Herzog Heinrich, mit dem er freundchaftlich verbunden war. Auch dem Herzog, später als Kaiser Heinrich II. in die Geschichtsbücher eingegangen, lag die Reform der Klöster sehr am Herzen, und gemeinsam machten sich die beiden daran, wieder Zucht und Ordnung zu etablieren; denn hinter den Mauern von Niederaltaich wie auch anderswo war einiges aus dem Ruder gelaufen.
Alles in allem konnte Gotthard nach 25 Jahren als Abt an der Donau zufrieden auf diesbezügliche Erfolge zurückblicken, er hatte nicht nur sein eigenes Kloster wieder in die Spur gebracht, sondern auch das Stift Hersfeld bei Fulda und Kloster Kremsmünster. Lediglich in der Abtei Tegernsee biss er sich mit seinen Reformideen die Zähne aus.
Godehards Flehen half nichts
Gotthard hatte also gute Arbeit geleistet. Doch statt die Früchte dieser Arbeit genießen zu können, wartete auf ihn die Höchststrafe. Es gibt wohl kaum einen treffenderen Ausdruck, wenn ein Bayer durch und durch in den hohen Norden beordert wird?
Was war passiert? In Hildesheim starb am 20. November 1022 Bischof Bernward, auch er ein Mann mit großem Namen, kirchlich und politisch eine Hausnummer. In Windeseile verbreitete sich die Nachricht vom Tod Bernwards, und Kaiser Heinrich wusste nur einen fähigen Nachfolger, nämlich Gotthard. Der allerdings, inzwischen 62, sträubte sich heftig. Fast flehentlich versuchte er, Heinrich umzustimmen, heißt es in seiner Wolfher-Biografie: „Lieber in Bayern ein Abt als da oben ein Bischof. Und wenn schon unbedingt ein Bischof, dann doch viel lieber auch wieder in Bayern.“
Alles Bitten und Betteln blieb ohne Erfolg, der Kaiser ließ sich nicht umstimmen, und mit schwerem Herzen soll Gotthard sich auf den Weg nach „da oben“ gemacht haben. Es spricht für ihn, dass er unterwegs nicht trödelte, denn nur zwei Wochen später weihte ihn der Mainzer Erzbischof Aribo zum Bischof von Hildesheim. Und noch mehr spricht für Gotthard, dass er sich nicht schmollend in die Ecke zurückzog, sondern noch einmal durchstartete. Ein Glücksfall für die Kirche im Norden: zwei tatkräftige, ideenreiche, willensstarke und charismatische Bischöfe unmittelbar hintereinander. Wann gab es das noch einmal?
Zwar hat Gotthard, jetzt Godehard, in den folgenden 15 Jahren auf dem Hildesheimer Bischofsstuhl alles für sein Bistum gegeben – ob als Seelsorger, Vordenker oder Bauherr. Aber die Verbindung in seine Heimat hat er nicht abreißen lassen. Und als er am 5. Mai 1038 starb: Wer weiß, ob er in seinen letzten Gedanken nicht doch am Ufer der Donau gesessen hat?
Dort jedenfalls verehren sie ihren Gotthard, fast 100 Jahre später als erster Altbayer heilig gesprochen, bis heute. Und wie immer am 5. Mai, versammeln sich die Menschen seines Geburtsorts Reichersdorf zur Lichterprozession – gemäß der Satzung zur „Verbreitung der religiösen Substanz aus dem Leben des heiligen Gotthard“.
Text: Stefan Branahl
Auszug aus der Beilage der KirchenZeitung - Die Woche im Bistum Hildesheim zum Godehardjahr vom 1. Mai 2022